Für eine solidarische Europäische Union

Von Markus Töns, MdB und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Solidarität ist ein europäischer Grundwert. Schon der Gründungsvertrag der Europäisch Union (EU) von 1992 bekräftigt den Wunsch, „die Solidarität zwischen ihren Völkern unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer Traditionen zu stärken“. Damit ist Solidarität kein Beiwerk, sondern konstituierendes Element der Europäischen Union.

Dieser Teil der EU-Verträge muss jeden Tag neu mit Leben gefüllt werden. In der Corona-Krise haben viele Europäer Solidarität zunächst vermisst: etwa, als Grenzen unkoordiniert geschlossen und medizinische Schutzausrüstung nicht mehr geliefert wurde. Einer Eurobarometerumfrage zufolge sind in der aktuellen COVID-19-Krise 57 Prozent der EU-Bürgerinnen und -Bürger unzufrieden über die mangelnde Solidarität in Europa[1].

Warum Solidarität?

So betrüblich diese Statistik auch sein mag, sie zeigt: Es gibt den Wunsch, stärker als früher gemeinsam zu handeln und Solidarität zu üben. Die Bürger haben verstanden, dass der Nationalstaat die Probleme der Zukunft nicht lösen kann. Eine Mehrheit wünscht sich, dass die EU gemeinsame Politiken entwirft, um einen Impfstoff zu entwickeln, aber auch um finanzielle Hilfen an die Mitgliedstaaten zu ermöglichen.

Wie soll Solidarität aussehen?

Aktuell verhandeln der Rat und das Europäische Parlament über den gemeinsamen Haushalt der EU 2021 bis 2027. Diese Verhandlungen gilt es zu nutzen: um die Solidarität zu üben, die in den EU-Verträgen festgeschrieben ist und von den Bürgern zu Recht eingefordert wird.

Die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf dem Gipfel 17.7. – 21.7.2020 über den nächsten Haushalt und den Wiederaufbaufonds war historisch – nicht nur, weil es einer der längsten Gipfel in der europäischen Geschichte war. Die 27 Staats- und Regierungschefs haben sich darauf verständigt, der Europäischen Kommission erstmals überhaupt die Möglichkeit zur Kreditaufnahme einzuräumen. Damit sollen Kredite und Zuschüsse finanziert werden, die an die Mitgliedstaaten weitergegeben werden. Zudem haben sich die Mitgliedstaaten auf ein neue Einnahmequelle verständigt. Eine Abgabe auf nicht-recyceltes Plastik soll zur Tilgung der aufgenommenen Schulden dienen. Der Fonds wird insgesamt 750 Milliarden Euro umfassen und dient dem Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coronakrise. Für die Finanzierung des 750-Milliarden-Euro-Instruments kann die Europäische Kommission erstmals Schulden aufnehmen. Dies soll es ermöglichen schnell, schon 2021, die ersten Mittel an die Mitgliedstaaten fließen zu lassen. Die Mitgliedstaaten können dabei sowohl Kredite als auch Zuschüsse erhalten. Letztere sind insbesondere für jene Staaten interessant, die eine hohe Staatsverschuldung besitzen. Sie drohen ohne die Zuschüsse weiter an wirtschaftlichem Anschluss in der EU zu verlieren. Das Europäische Parlament muss dieser Einigung jetzt noch zustimmen.

Gleichzeitig haben wir uns vorgenommen, eine sozial-ökologische Transformation in der europäischen Wirtschaft vorzunehmen. Die Staaten starten auch hier von unterschiedlichen Niveaus, sie sind unterschiedlich stark abhängig von alten Industrie- und Wirtschaftszweigen. Deswegen haben wir auch für diese Transformation ein Unterstützungsinstrument vorgesehen. Der „Just-Transition-Funds” soll dafür Sorge tragen, dass der wirtschaftliche Wandel auch sozial gerecht vonstattengeht. Er soll den Aufbau neuer Wirtschaftszweige fördern, aber auch die Weiterbildung von Beschäftigten.

Solidarität ist aber keine Einbahnstraße: Sie beruht auf Gegenseitigkeit und der Anerkennung grundlegender Werte. Das gilt auch bei den EU-Mitteln. Deshalb ist erstmalig geplant, die Vergabe der Mittel an die Einhaltung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. So wird sichergestellt, dass kein EU-Geld an diejenigen fließt, die der EU schaden wollen.

Für eine sozialdemokratische europäische Zukunft!

Die historische Einigung der Staats- und Regierungschefs beim europäischen Gipfel kann nur der Anfang sein. Wir brauchen diesen Geist der Solidarität, des Miteinander-verändern-Wollens auch in anderen Politikbereichen.

Wir brauchen europäische Solidarität in der Flüchtlingspolitik. Das bedeutet: gemeinsame Standards bei der Gewährung von Asyl und ein gemeinsamer Verteilungsmechanismus bei der Aufnahme von Geflüchteten.

Wir brauchen mehr Solidarität zwischen den Arbeitnehmern in Europa. Es muss gelten: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Jeder muss in Europa von dem Leben können, was er verdient. Deswegen ist ein gemeinsamer Rahmen für Mindestlöhne und soziale Sicherungssysteme in Europa eine der wichtigen Initiativen der deutschen Ratspräsidentschaft 2020.

Die Sozialdemokratie hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie europäische Lösungen für die Herausforderungen der Gegenwart hat. Wir müssen auch in dieser Krise mit sozialdemokratischen und solidarischen Lösungen vorangehen.

[1] https://www.europarl.europa.eu/at-your-service/files/be-heard/eurobarometer/2020/plenary-insights-may-ii-2020/en-plenary-insights-may-ii-2020.pdf, S.3

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